Nein zum missratenen Jagdgesetz

Am 17. Mai 2020 wird über das neue Jagd- und Schutzgesetz (JSG) abgestimmt. Dabei ist das am meisten diskutierte und zu meinem Bedauern auch hochemotional diskutierte Thema der Wolf. Doch bei dieser Revision geht es um viel mehr als nur um den Wolf. Das Gesetz muss zurück an den Absender und so überarbeitet werden, dass es den Namen «Jagd- und SCHUTZgesetz» auch wirklich verdient.

Was mich am neuen Gesetz besonders stört: Man hat die Chance verpatzt, zurzeit noch jagdbare aber heute im Bestand gefährdete Tierarten zu schützen. Die selten gewordenen Waldschnepfen, Alpenschneehühner, Birkhühner und Feldhasen dürfen immer noch gejagt werden. Die Jagd an sich hat ihre volle Berechtigung aus ökologischen und traditionellen Gründen. Und Jäger leisten u.a. viel Hegearbeit. Tiere in der freien Natur zu erlegen ist wohl die artgerechteste Variante, zu Fleisch zu kommen. Doch die Jagd muss nachhaltig sein und Tierarten dürfen nicht erlegt werden, wenn ihr Bestand dadurch gefährdet wird.

Was beim neuen Gesetz ebenfalls sehr bedenklich ist: Bis anhin konnte nur der Bund bundesrechtlich geschützte Arten zum Abschuss freigeben. Künftig sollen Kantone darüber entscheiden dürfen. Als ob Tiere nicht über die Kantonsgrenzen gehen würden. Nur schon die Präsenz eines Wolfes, der potenziell Schaden anrichten könnte, würde einem Kanton die Erlaubnis geben, das Tier zu schiessen. Wenn Wolfsgegner in einer kantonalen Exekutive übervertreten sind, dann könnte der Wolf schnell in diesem Kanton ausgerottet werden. Auch anderen geschützte Arten wie Biber, Luchs oder Graureiher könnten künftig ins Visier kommen.

Grossraubtiere beeinflussen den Lebensraum positiv

Nun aber zum Wolf, der so stark polarisiert. Von den einten als Bestie angesehen, das in der Schweiz keinen Platz hat und auf der anderen Seite fast schon verherrlicht. Als Grossraubtier hat der Wolf eine nicht zu unterschätzende Rolle im Ökosystem. Seine reine Präsenz sorgt dafür, dass seine Beutetiere sich besser in der Landschaft verteilen. Schon klar, haben die Jäger da wenig Freude, denn das vorsichtiger gewordene Beutetier wird schwieriger aufzufinden. Die Lieblingsspeise des Wolfes sind Reh und Hirsch. Beides Pflanzenfresser, die im Winter gerne Knospen und Rinden von kleinen Bäumchen fressen. Ohne die Präsenz der Grossraubtiere gruppieren sich diese Huftiere gerne und können lokal grosse Verbissschäden anrichten. Junge Bäume können dann kaum aufkommen, der Wald verjüngt sich kaum mehr und kann wichtige Funktionen wie den Schutz vor Naturgefahren nicht mehr richtig leisten. Deshalb sind Grossraubtiere von Förstern in der Regel gerne gesehen. Der Wald ist gesünder, wenn Wölfe oder Luchse die Pflanzenfresser im Raum verteilen. Aber auch die Beutetiere selbst werden gesünder, wenn ihr Fressfeind anwesend ist. Kranke und schwache Tiere fallen als erstes zum Opfer. So wurde kürzlich festgestellt, dass in von der Schweinepest betroffenen Gebieten Wildschweinpopulationen kaum krank sind, wenn der Wolf sich im selben Gebiet aufhält. Er erlegt vorzu die erkrankten Wildschweine und verhindert so eine Ausbreitung. Durch ihren Einfluss auf die Beutetiere können Wölfe gar ganze Landschaften verändern und ökologisch aufwerten. Wenn Sie mehr dazu erfahren möchten, empfehle ich, auf www.youtube.com «How Wolves Change Rivers» anzusehen.

Wir haben die Koexistenz mit Grossraubtieren verlernt

Wolf und Bär waren während über hundert Jahren abwesend. Erst 1995 kam der erste Wolf und 2005 der erste Bär wieder ins Schweizer Territorium zurück. Während den letzten paar Jahrzehnten haben wir verlernt, mit diesen Tieren nebeneinander zu leben. Man begann, die Schafe sorglos auf die Alp zu bringen. Unbeaufsichtigt stürzt immer mal wieder ein Schaf ab oder wird krank und stirbt. Im Schnitt werden auf 15 Schafe, die wegen Krankheit oder Sturz sterben (etwa 4’000 Schafe jährlich) ein Schaf vom Wolf gerissen (variabel, zwischen 40 und 400 Schafe jährlich). Kürzlich habe ich einen Artikel des Bergwaldprojekts gelesen. Darin wurde ein Bergbauer gefragt, warum ein Wolfsriss viel emotionaler betrachtet wird als der Verlust durch Krankheiten und Abstürze. Er meinte daraufhin, dass es Abstürze und Krankheiten schon immer gab und man daher damit leben kann. Ein Wolfsriss jedoch ist nicht alltäglich, sehr brutal und verhinderbar. Und da sehen wir das Problem. Wir haben verlernt, wie man mit Grossraubtieren koexistiert.  Man hat sich auch daran gewöhnt, dass Krankheiten und Abstürze durch die verringerte Anwesenheit der Hirten zunahmen. Es braucht Zeit, sich an die neue Situation wieder zu gewöhnen. Doch Lösungen und Unterstützung von Bund und Kanton sind da. Herdenschutzhunde und andere Wächter wie Esel oder Hirten oder das Einzäunen auf kleineren Alpen sind Möglichkeiten, um Wolfsangriffe auf Schafe zu minimieren. Und wenn ein Wolf gemerkt hat, dass Schafe einfach zu holen sind und dieser immer wieder welche reisst, gibt es heute schon die Möglichkeit, den Wolf zu erlegen. Denn dieser würde seinen Nachkommen das für uns problematische Verhalten weitergeben.

Hat der Wolf Platz in unseren Köpfen?

Zurzeit gibt es etwa 60-80 Wölfe und ca. 300 Luchse in der Schweiz. Dabei wurden die Huftiere bislang nicht reduziert, aber im Wald regelmässiger verteilt. Die Verbissschäden im Wald wurden geringer. Interessanterweise werden die Kosten für den Waldschutz gegen Verbiss nicht aufgezeigt, doch laut dem Bergwaldprojekt sind es jährliche Kosten in Millionenhöhe. Die Geldbeträge für Entschädigungen für Wolfsrisse und Herdenschutzmassnahmen sind einiges kleiner.

Ein weiteres Argument gegen den Wolf ist, dass er in der kleinräumigen Schweiz keinen Platz hat. Studien zeigen aber, dass insbesondere das Alpen- und Juragebiet genug Platz für Wolfsrudel aufweisen. Und auch im Mittelland können Wölfe durchziehen. Manche haben Angst vor Bär und Wolf. Doch diese Tiere sind grundsätzlich nicht gefährlich. Der Mensch steht nicht auf ihrem Speiseplan. Ich schliesse mich ganz den Worten des obersten Wildhüters der Schweiz, Reinhard Schnidrig, an: «Lebensraum gibt es. Die Frage ist, ob wir im Kopf Platz machen für Bär und Wolf.»

 

Ein Artikel, den ich für das Bulletin schreiben konnte.